Die Media Education Foundation (Stiftung für Medienbildung) und die Resistance Studies Initiative (Initiative für Widerstandsforschung) richteten Dienstagabend an der Universität von Massachusetts eine Veranstaltung mit dem Titel „Criminalizing Dissent: The Attack on BDS and Pro-Palestinian Speech“ („Kriminalisierung von Dissens: Der Angriff auf BDS und propalästinische Rede“) aus.
Diese höchst erwartete Veranstaltung, die zweite ihrer Art an der UMass in den letzten Monaten, brachte eine Gruppe von hochrangigen Redner zum Fine Arts Center, um die „Boycott, Divestment and Sanction“-Bewegung zu diskutieren, welche darauf abzielt, Israel zu einer Beendigung seiner Rolle in Palästina zu zwingen. Die Veranstaltung strebte es besonders an, die von ihrer verspürten Unterdrückung von pro-BDS Standpunkten in der US-amerikanischen Kultur zu thematisieren.
Angeführt durch die Aktivistin Linda Sarsour umfasste das Panel ihre Mitaktivisten Tim Wise und Shaun King, Harvard Professor Cornel West, Dima Khalidi, den Gründer von Palestine Legal Dima, sowie Omar Barghouti, eines der Gründungsmitglieder von BDS, der nur über Skype teilnehmen konnte. Barghoutis Reise in die USA wurde diesen Frühling verweigert.
Während der mehr als dreistündigen Veranstaltung hatte jeder Redner ungefähr 20 Minuten für seine Stellungnahme, gefolgt von einer kurzen Frage-und-Antwort-Runde, die von Sarsour geleitet wurde.
Obgleich die Stellungnahmen allgemein einen propalästinensischen Standpunkt einnahmen, drückten sie eine Vielzahl an Meinungen zum Israel-Palästina-Konflikt, der BDS Bewegung und zum Aktivismus selbst aus.
West schloss die Gruppe der Vorträge mit einer energetischen 15-minütigen, predigtähnlichen Rede, welche auf eine Vielzahl an Themen mit Bezug auf Aktivismus allgemein, den Israel-Palästina-Konflikt und verschiedene Bewegungen für Frieden und Gleichberechtigung einging.
West sprang von Thema zu Thema, entwickelte sein Argument und band seine Thematiken kühn zusammen, während seine Stimme noch in den hintersten Reihen der FAC Konzerthalle dröhnte.
Er öffnete seine Rede mit einer direkten Kritik gegen UMass-Kanzler Kumble Subbaswamy, dessen Verurteilung der Veranstaltung in einer Mitteilung am 21. Oktober ihn für die Organisatoren und Redner der Veranstaltung angreifbar machte.
West verknüpfte unterschiedliche Fälle von Menschen überall auf der Welt, die um ihr Überleben kämpfen, und sagte: „Es ist für mich nicht wichtig, ob sie Palästinenser sind, es ist für mich nicht wichtig, ob sie in Kaschmir sind … es ist für mich nicht wichtig, ob es Weiße in [der US-Region] Appalachia sind.“
Er versuchte außerdem, die Komplexität des Israel-Palästina-Konflikts zu kontextualisieren, indem er sagte, dass eine der Schwierigkeiten in dieser Situation in der Position der Juden liege, „die über 2000 Jahre der Underdog-Mentalität hinweg gehasst, verachtet, entwertet, unterdrückt [und] attackiert wurden“ und sich nun selbst in der Machtposition befänden. Israel hat seinen Underdog-Status in seinem Umgang mit Palästinensern aus den Augen verloren, „die genauso kostbar wie die jüdischen Brüder und Schwestern sind.“
Gegen Ende seiner Rede sagte West, dass es der BDS Bewegung nicht um Identität ginge. BDS beschäftige sich mit der israelischen Besetzung Palästinas, sagte er und fügte hinzu, dass wenn das Gegenteil der Fall wäre und es eine palästinensische Besetzung Israels gäbe, es eine riesige BDS-ähnliche Bewegung geben würde und er auch ein Teil von ihr wäre.
Die Veranstaltung wurde von Sut Jhally, einem Mitorganisator, UMass Professor und Vorsitzenden des Departments of Communication, welcher außerdem Leiter der Media Education Foundation ist, eröffnet. Er kritisierte den Kanzler in seinen Äußerungen, besonders Subbaswamys Beschreibung seiner Foundation als eine „bösartige“ externe Organisation.
„Ich arbeite ja erst seit 35 Jahren hier“, sagte er.
Subbaswamys Aussage kritisierte, was seines Erachtens nach einer einseitigen Besetzung der Redner sei. Die Veranstaltung, sagte er, zeichnete ein „reduktionistisches und entmenschlichendes Portrait von Israel.“
Kritik gegen die BDS Bewegung entsteht primär aus ihrem Fokus. Kritiker sagen, dass die Bewegung den Israel-Palästina-Konflikt einseitig darstelle. Kritik richtet sich zudem darauf, dass Israel, ein Land, welches seiner nicht-jüdischen Bevölkerung volle Rechte zuspricht und welches arabische Regierungsmitglieder hat, starke Missbilligung von der internationalen Gemeinschaft erfährt, trotz der Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern der Region.
Auf Jhallys Plädoyer folgte das seines Mitorganisators Stellan Vinthagen, Leiter der Resistance Studies Initiative der UMass, sowie eine Videobotschaft des Pink Floyd Frontmannes Roger Waters, welcher bereits bei einer ähnlichen Veranstaltung im Mai in der Universität auftrat.
„Wenn ich morgens aufwache und atme, bin ich kontrovers“, sagte Sarsour in ihrer Eröffnungsrede. Sie wurde als ein Gründungsmitglied des Women’s March vorgestellt, einer Gruppe, die sie unter Antisemitismusvorwürfen verlies.
Sarsour beschrieb ihren Aktivismus und nannte ihre Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten und Vermont Senator Bernie Sanders und seine Überzeugung, dass ein Kampf für die Rechte Palästinas ein Kampf gegen den Antisemitismus sei.
„Eines Tages werden wir einen neuen Präsidenten haben, welcher der erste jüdisch-amerikanische Präsident dieses Landes sein wird“, schloss Sarsour ihr Plädoyer.
Nach Sarsour sprach Barghouti, welcher aus Gaza durch eine Videoleinwand hinter der Bühne zugeschaltet wurde. Er sagte, dass seine Organisation „stark durch die südafrikanische Antiapartheitsbewegung und durch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung beeinflusst“ sei.
Im Anschluss an Barghoutis Rede übernahm Tim Wise die Bühne als der erste körperlich anwesende Redner Panels. Er sprach über seine Erfahrung als jüdischer Mann, der in Nashville aufwuchs, und nannte spezifische diskriminierende Vorfälle, welche er gegen die Antisemitismusvorwürfe gegen BDS kontrastierte.
„Zu unterstellen, dass dies eine antisemitistische Bewegung sei…, während es da draußen Leute gibt, die uns jagen würden und uns hassen, ist einfach absurd“, betonte Wise.
Er brachte die Idee vor, dass es für Juden okay sei, ihre Gemeinschaft zu hinterfragen, wenn es um Israel und seine Politik geht. Meinungspluralität habe eine lange Tradition im Judentum, merkte Wise an und machte auf den Talmud, die Schrift des jüdischen Gesetzten, aufmerksam und die Vielzahl and Überzeugungen, die Rabbis in ihn aufgenommen haben.
Kings Redeanteil, welcher auf den von Wise folgte, beschäftigte sich mit Aktivismus und Lehren, die er aus seiner Karriere gezogen hat. Er nannte Israel, Palästina und BDS kaum und legte seinen Fokus stattdessen auf 4 zentrale Ideen des Aktivismus.
„Du musst energetisch sein, organisiert, mit gut durchdachten Plänen, und wir müssen Wege finden, sie zu finanzieren“, sagte King.
Ohne direkt auf BDS oder Israel einzugehen gab King den anwesenden Studierenden Tipps wie man erfolgreich etwas verändern kann. „Recht zu haben ist nie genug, energetisch zu sein ist nie genug“, sagte er, als er auf die Midterm-Kandidaten Beto O’Rourke, Stacey Abrams und Andrew Gillum aufmerksam machte, welche allesamt verloren, obwohl sie lautstarke Anhängerschaft hervorbrachten.“
Ein nennenswerter Moment in Kings Rede war seine Kritik an Aktivismus, der nur online stattfindet.
„Tweets sind keine Wählerstimmen. Emojis mit wütendem Gesicht sind keine Wählerstimmen. Dein best‘ intendierter Instagram Post ist keine Wählerstimmen“, sagte King.
Die Veranstaltung verlief fast störungsfrei. Nur eine Person musste gegen Ende entfernt werden, deren Zwischenrufe „America First“ und „Antifa“ durch Rufe des Publikums übertönt wurden.
Als das Publikum die Aula verlies, nannte Vinthagen die Veranstaltung „fantastisch“ und sagte, dass es „ermutigend war so viele ernsthafte Akademiker zu sehen, welche sich [für diese Sache] einsetzen.“
In einem dutzend von Interviews drückten Publikumsmitglieder grundsätzlich propalästinensische Überzeugungen aus. West und Sarsours wurden von fast allen Teilnehmenden in Interviews vor der Veranstaltung als die Redner genannt, welche sie am meisten hören wollen.
„Ich hoffe, dass die Leute ein wenig davon mitbekommen, was mit den Palästinensern geschieht, und ich glaube, das ist die Crux des Problems, das sich im Laufe der Zeit entwickelt hat“, sagte Jake Edmunds, 73, aus Amherst. Er sagte, die Leute verstünden den historischen Kontext nicht, der zur momentanen Situation geführt hat.
„Ich bin gekommen, weil ich denke, dass es wichtig ist beide Seiten der Geschichte zu hören“, sagte Edmunds. „Es ist eine große Geschichte, die schon lange existiert, und es scheint nicht, als ob sie sich in eine gute Richtung entwickelt.“
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