Da ich in einem christlichen Haushalt aufwuchs, waren der Glaube an Gott und die essenziellen evangelischen Überzeugungen in meinem Geist verankert, seit ich alt genug war zu zählen. Aber seien wir mal ehrlich – kann ein Kind, das noch nicht einmal versteht, dass zwei und zwei vier ergibt, die Komplexität von Religion verstehen?
Es ist jetzt eineinhalb Dekaden her, seit ich zum ersten Mal vom Evangelium gehört habe, und wenn ich sage, dass meine Überzeugungen sich verändert haben, ist das eine Untertreibung. Sicher, ich glaube noch an Gott und Himmel und Hölle, aber ich glaube nicht, dass jemandes Sexualität oder schlechte Angewohnheiten wie Fluchen einen Direktflug in die Verdammnis bedeuten.
Über die Jahre habe ich eine unangenehme Menge an Verwirrung und Kummer verspürt, bis ich begriffen habe, dass es okay ist, nicht diesen Überzeugungen wie meine Eltern zu haben. Lange Zeit war ich von mir selbst enttäuscht, wenn sich in mir Meinungen und Ideen entwickelten, die nicht mit denen übereinstimmten, die mein lebenslanger Glaube mir beigebracht hatte. Von meinen Kindergartentagen bis tief in die Mittelstufe besuchte ich eine baptistische Kirche und jeden Sonntagabend eine Jugendgruppe. Gedanken an Sex vor der Ehe oder Alkohol widerten mich an und Mädchen, die Oberteile mit tiefem Ausschnitt zur Schule anzogen oder kurze, enge Kleider zu Partys, ließen mich innerlich zusammenzucken.
Heute bin ich mehr als Danke für die Gruppen, die über Tabuthemen aufgeklärt haben und mir Einblick in Themen gegeben haben, von denen ich vorher überhaupt nichts wusste. Jetzt als Studierende ist es besonders erfrischend, Leute in meinem Alter zu sehen, die für ihre Überzeugungen einstehen und sich nicht vor den Folgen ihrer Wahrheit fürchten. Tatsächlich ist die Universität die perfekte Umgebung, um mehr über Politik und Religion zu lernen. Die Ressourcen sind endlos. Kurse, Lehrende, Bücher und politische Hochschulgruppen sind alles Wege, um dein Wissen zu erweitern und unterschiedliche Perspektiven kennenzulernen.
Der erste Schritt in dieses neue Kapitel meines Lebens benötigte es jedoch, ehrlich mit mir selbst zu sein. Eine Veränderung in meinen Überzeugungen zu erkennen und zu begreifen, dass ich eventuell nicht mit allem übereinstimme, was mir mein ganzes Leben lang beigebracht wurde, war ein wenig furchteinflößend. Was ich mir eingestehen musste war, dass Leute nicht dafür gemacht sind, Kopien ihrer Eltern zu sein. Obwohl ich meine Eltern von ganzem Herzen liebe, formen sie weder meine Gedanken noch haben sie das Recht zu bestimmen, wofür ich mich ausspreche. Wenn es eine Sache gibt, die einer Person niemals genommen werden sollte, dann ist es ihre Individualität.
Die Wahrheit ist, dass es genauso beängstigend für deine Eltern sein kann, zu erkennen, dass du nicht dieselben Ansichten hast wie sie. Ich verstehe, dass eine Mutter oder ein Vater es sich wünschen würden, dass ihre Kinder dieselben Überzeugungen annehmen sollen wie sie selbst. Aber sie können das nicht verlangen.
Als ich vor wenigen Monaten einen Beitrag auf Facebook teilte, der meine Unterstützung für eine gewissen liberale Angelegenheit offenbarte, bekam ich einige Stunden später nicht gerade zufriedene Anrufe von Familienmitgliedern. Ich musste erklären, dass ich diesen Beitrag nicht geteilt hatte, um alle meine konservativen Familienmitglieder zu ärgern, die diesen Beitrag später in ihrer Timeline sahen, sondern weil es das war, wovon ich überzeugt bin. Warum sollte das so schwer sein?
Ich verstehe, dass nicht alle Eltern so viel Verständnis aufbringen werden, wenn solche Wahrheiten ans Licht kommen. Einige Leute werden aus dem Haus geschmissen und andere werden vollständig von der Familie verstoßen. Es ist ein empfindliches Thema und der Umgang damit hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, darunter beispielsweise ob man finanziell unabhängig genug ist, um sich selbst der Gefahr auszusetzen, sich nicht mehr finanziell auf seine Eltern stützen zu können. Fälle zu sehen, in denen junge Erwachsene obdachlos werden, weil sie sich geoutet haben oder gegen die toxische Ideologie ihrer Eltern rebelliert haben, machen mich mehr als wütend.
Falls es für dich möglich ist anderer Meinung zu sein und trotzdem eine gesunde Beziehung mit den Leuten, die du liebst, aufrechtzuerhalten, dann ist eine offene und ehrliche Unterhaltung über deine religiösen und politischen Überzeugungen vielleicht erwägenswert. Sich aus Angst, die eigenen Eltern zu enttäuschen, ständig selbst zurückzuhalten, kann mental auslaugend sein. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es nicht einfach ist. Letzten Endes wirst du dich viel zufriedener fühlen, wenn du beginnst dich auf deinem eigenen Pfad zu bewegen, statt auf dem, den deine Eltern für dich geschaffen haben.
Gabriela Campos ist eine Collegian-Kolumnistin und unter [email protected] erreichbar.
Jan Niklas Jokisch ist ein Deutschübersetzer und ist unter [email protected] erreichbar.
Xenia Ariñez de la Vega ist die Deutsch-Redakteurin und ist unter [email protected] erreichbar.